heimat arscht ihn an
Der Innsbrucker Autor Helmuth Schönauer scheißt genussvoll auf Tirol
Helmuth Schönauer: Das Tiroler Heimatbuch. Aufschnitt/Roman
Wien, edition selene 2000
Rezensiert von: werner schandor
„Heimatkundler sind die perfekten Fakeforscher. Auf nach Fakestan!“
ruft Helmuth Schönauer, Tiroler des Jahrgangs 1953, Autor, Bibliothekar und
„Literatur-Winnetou“ (Eigendefinition), am Ende seines bislang jüngsten
Buches, Das Tiroler Heimatbuch, aus. Aber warum ist Heimat ein Fake, und wieso
ist das Stoff für ein Buch? Und überhaupt: Wie kommt jemand darauf,
ein Heimatbuch zu schreiben? - Dazu schreibt der Autor in einer E-Mail an den
Rezensenten: „Die Tiroler haben schwer zu kämpfen. Bei uns gibt es nämlich
ein echtes Heimatbuch, das die Kids bei der Geschlechtsreife vom Bürgermeister
unter den Arm geklemmt kriegen.“ - Von da her kann Schönauers Heimatbuch
als Gegenentwurf verstanden werden. Als literarischer Rundumschlag gegen den Ausverkauf
des Landes an den Tourismus, gegen die politische Infiltration durch die omnipräsente
„Einheitspartei“ und überhaupt gegen die Lüge, dass einem
etwas derart Untotes wie „Heimat“ als Leben verkauft wird. Insofern
ist Heimat ein Fake. Und da kann Schönauer nur drauf … - aber wie sagt
er selbst im Buch: „In meinen Texten wird viel gekackt, und am Sonntag wird
ordentlich geschissen, denn die Worte, die die Beziehungen am Lande regeln, kommen
vor Wut meist aus dem falschen Loch.“
Das Fäkale zieht sich als braune Spur durch alle vier Abteilungen des als
Aufschnitt/Roman titulierten Buches, das sich aus glossenhaften, giftigen Kurztexten
zusammensetzt und im heiligen Land vermutlich nie zu offiziellen Ehren gelangen
wird. Quasi als Beleg dafür ist dem Heimatbuch das Absageschreiben des Landes
Tirol auf das Ansuchen zur Druckförderung durch den Verlag in Faksimile vorangestellt.
„Die Texte sind viel zu einseitig in eine bestimmte (einschlägige) Richtung
fixiert - sehr zum Schaden ihrer literarischen Qualität“, urteilt der
zuständige Beamte. Mit der einschlägigen Richtung hat er schon recht.
Bei Schönauer firmiert das unter „Anal-Phabetismus“. Mit dem Schaden
der literarischen Qualität aber nicht, denn der heilige Zorn, von dem der
Autor getrieben wird, seine Heimat vom „Alpenpionier Fickner“ bis zum
Ötzi abzuhandeln, resultiert immer wieder in sehr pointierten Formulierungen
und ätzend-witzigen Passagen.
Besonders abgesehen hat es Helmuth Schönauer auf seine engere Heimat, die
Höttinger Au in Innsbruck, die nicht nur in der Einflugschneise des Alpen-Airports
liegt, sondern mit ihrer Vorort-Ästhetik aus Gemeindebauten, Durchzugsstraßen
und Tiefgaragen jegliche Tourismus-Werbung Lügen straft. „Es ist alles
so, wie es ist, das macht die echte Literatur aus“, schreibt Schönauer
in seiner E-Mail an den Rezensenten. Und in seinem Buch sagt er noch etwas Treffendes
über Literatur, das auch auf seine eigene Arbeit gemünzt werden kann:
„In der Literatur gibt es eine von der Öffentlichkeit beschienene und
eine von ihr abgewandte Seite. Die Texte von der abgewandten Seite sind die wichtigeren,
das könnt ihr mir glauben. Wo die Öffentlichkeit strahlt, ist die Schrift
der Wahrheit nicht mehr zu lesen.“